Wohnstubenkonzept mit Integrativer Aktivierender Alltagsgestaltung (IAA)
"Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl."
Herbert Grönemeyer
Den Krankheitsbildern angepasst und nach den neuesten Erkenntnissen in der Altenarbeit, haben wir das Wohnstubenkonzept 2017 für unser Haus neu erarbeitet und umgesetzt und 2024 erneut evaluiert. Dies erfolgte im Rahmen unserer Möglichkeiten in einem Altbaubestand, der vorerst im institutionellen Stil errichtet wurde. In den kleinen Wohngemeinschaften der verschiedenen Stockwerke ist es möglich, eine angenehme, familiäre Atmosphäre zu schaffen – ein „Dahoamgefühl“ aufkommen zu lassen und Normalität ressourcenorientiert zu leben.
Es soll im Tagesablauf ein familiäres Miteinander mit unseren, uns anvertrauten BewohnerInnen sein, ebenso ein Miteinander mit allen Bereichen - ein ineinander Arbeiten mit vertrautem Zusammenhalt. Die Atmosphäre soll von einem aufeinander Achten und gegenseitigem Wertschätzen geprägt sein.
Unser tägliches ganzheitliches Tun, unsere Haltung und unsere Kommunikation ist getragen von Werten und Prinzipien nach Naomi Feil, der Integrativen Aktivierenden Alltagsgestaltung (IAA) nach Elvira Tschan (siehe weiter unten) und angelehnt an die Böhm-Philosophie.
In der Wohnstube oder Wohnküche wird zusammengesessen, gemeinsam gegessen, erzählt, der Tisch zusammen gedeckt und abgeräumt, „gekaschtelt“ oder es findet ein Gruppenangebot statt. Vom Sofa oder von der Ofenbank aus - im Winter gewärmt vom Kachelofen oder im Lehnsessel kann man das Geschehen beobachten, wenn man dazwischen mal müde geworden ist. Ein Aufeinander achten, ein Zureichen, eine wertschätzende Geste, ein guter Rat, ein Mithelfen in der Wohnküche, aber auch gemeinsam lachen oder gemeinsam trauern… einfach gemeinsam den Tag lebendig gestalten.
Das gemeinsame Essen ist in der kleinen Wohngemeinschaft im familiären Stil möglich, eben genau so wie es bei vielen unserer BewohnerInnen in der Kindheit zu Hause war. Der/die MitarbeiterIn sitzt (wie die Mutter oder der Vater früher) mit den BewohnerInnen am Tisch, unterstützt sie und nimmt mit ihnen die Mahlzeit ein. Dies fördert das soziale Miteinander, das „Dahoamgefühl“, das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Kommunikation und die Interaktion untereinander. Die sozialen Rollen und Rituale werden gelebt. Der/die MitarbeiterIn hat alles im Auge. Es ist erwiesen, dass gerade demenziell erkrankte BewohnerInnen durch das Prinzip des Nachahmens viel länger selbständig essen können, wenn sie es sich vom Gegenüber abschauen können. Daher ist dieses Konzept von enormen therapeutischem Wert. Natürlich ist dies für die MitarbeiterInnen keine entspannte Mahlzeit, es ist ein sehr herausforderndes, fachliches Arbeiten, aber mit immens großer und positiver Wirkung für die BewohnerInnen.
Auf der Veranda besteht die Möglichkeit sich zwischenzeitlich aufzuhalten, die herrliche Umgebung zu genießen, dem Schneetreiben oder den SkifahrerInnen zuzuschauen, die BesucherInnen des Drachenparks und am Sonntag die KirchgängerInnen zu beobachten. Wer kann und möchte hilft dabei, die Wäsche zusammenzulegen, andere lesen das Aktuelle vom Tag. Manche möchten jedoch einfach nur am Sofa liegen, um zu rasten und dem Leben „nachzutrachten“.
Für das Teilnehmen am Gottesdienst oder das Zusammensein in einer homogenen Gruppe der fachlichen psychosozialen Arbeit im Wohn- und Pflegeheim, oder bei einer Aktivierung im Garten ist es oft notwendig die Wohngruppe zu verlassen. Der Ortswechsel, das Treffen von anderen BewohnerInnen bzw. das Kennenlernen neuer BewohnerInnen, um gemeinsam was zu erleben und an einem entsprechenden Angebot teilzunehmen, unterstreicht wiederum das Normalitätsprinzip und wirkt der sozialen Isolation entgegen.
Benötigt jemand, abhängig von seinem allgemeinen Zustand, viel Ruhe oder ist er/sie ein Mensch, der immer schon im Rückzug gelebt hat, dann ist auch dies möglich. In dem, mit persönlichen Gegenständen gestalteten Zimmer, kann er/sie das „in sich gekehrt sein“ leben.
Wir geben den BewohnerInnen in den kleinen Wohneinheiten nicht nur das Gefühl sich sicher und geliebt zu fühlen, sondern auch gebraucht zu werden. Wir erhalten so ihre Ressourcen und decken individuelle Bedürfnisse ab, die ein jeder Mensch bis an sein Lebensende hat. Dieser familiäre Ansatz in den kleinen Einheiten trägt maßgeblich zum Wohlbefinden aller bei. Bei den BewohnerInnen ist eine an die Bedürfnisse angepasste Betreuung möglich, mit physisch und psychisch positiven Auswirkungen.
Den MitarbeiterInnen ist durch die Überschaubarkeit und die Konzentration auf eine kleinere Gruppe im jeweiligen Stockwerk, ein intensiverer Kontakt zu den einzelnen BewohnerInnen möglich und somit ein besseres Wahrnehmen derer Bedürfnisse. Das familiäre Ambiente und die kleine Gemeinschaft tun auch uns MitarbeiterInnen gut.
Räumlichkeiten
Unter Geschichte ist ersichtlich, dass unser Haus nun nicht mehr ganz jung ist. Nichtsdestotrotz ist es durch Heimeligkeit, Wärme und von der Herkunft und der Prägung der meisten unserer BewohnerInnen orientierten Umgebung gestaltet.
Die Klientel ändert sich immer wieder - so werden die Aufenthalte der Daueraufnahmen immer kürzer und viel betreuungs- und pflegeintensiver. Daher wird nun von der Trägerschaft der Gemeinde Wildschönau das Projekt „Neubau“ angegangen, um auch den MitarbeiterInnen ein gutes ressourcenorientiertes Arbeiten zu ermöglichen.
Umfeldgestaltung
Einen wesentlichen Teil zum Wohlfühlen trägt eine angenehme, wohnliche Umgebung bei. Dies unterstreicht ebenso die Ganzheitlichkeit des HPCPH Konzeptes. Eine dem Milieu und der Biographie angepasste, jahreszeitlich und örtlich orientierende, abwechslungsreiche Gestaltung im Haus bringt den BewohnerInnen Anregung der Sinne, Abwechslung im Alltag, Orientierung und Sicherheit.
Wir ermutigen An- und Zugehörige, beim Heimeinzug mit der Bewohnerin bzw. dem Bewohner das Zimmer persönlich zu gestalten.
Die Erfahrung zeigt, dass sich die Umfeldgestaltung auch auf die MitarbeiterInnen sowie auf die BesucherInnen positiv auswirkt.
Anna Oberwalder DSOB/A
Integrative Aktivierende Alltagsgestaltung nach Elvira Tschan
Elvira Tschan plädiert in ihrem Buch „Integrative Aktivierende Alltagsgestaltung“ auf eine ganzheitliche Betreuung und Pflege der BewohnerInnen. Das übergeordnete Ziel der IAA ist, die Wahrung der Würde und die bestmögliche Lebensqualität betagter Menschen in stationären Einrichtungen zu erhalten. (Tschan, S. 22)
IAA integriert in den Betreuungs- und Pflegealltag!
Sie schreibt: „Damit Würde gewahrt werden kann, braucht es nicht allein das WISSEN, es braucht auch das KÖNNEN und es muss eine entsprechende HALTUNG entwickelt werden. Die Würde des Menschen zu wahren, muss von der abstrakten Vorstellung zu konkreten Handlungskompetenz werden.“ (Tschan, Vorwort)
Weiters schreibt sie: „Die Integrative Aktivierend Alltagsgestaltung (IAA) ist eingebettet in den Pflegealltag. Ein Eckpfeiler ist die Milieutherapie. Sie wird nicht als isolierte Therapieform verstanden, jedoch wird sie im Zusammenspiel mit alltagsgestaltenden Angeboten zum therapeutischen Faktor. Regelmäßige, in den Alltag integrierte, aktivierende Angebote haben positive Wirkung auf den Menschen und sein Lebensumfeld. Dem Menschen entsprechende alltagsgestaltende Angebote sind Beiträge zur Erhaltung seiner Lebensqualität. Auch die Pflegenden gewinnen dazu: Für sie tun sich Handlungsmöglichkeiten auf, die ihre Arbeit und sie selbst bereichern.“ (Tschan, Vorwort)
Nach den Prinzipien der Integrativen Aktivierenden Alltagsgestaltung arbeiten auch wir im Wohn- und Pflegeheim Wildschönau und kombinieren dies mit dem Wohnstubenkonzept. Dadurch entstand das Gesamtkonzept „Wohnstubenkonzept mit Integrativer Aktivierenden Alltagsgestaltung“.
Wichtig ist ein gutes Konzept, das sich in den Betreuungs- und Pflegeprozess integrieren lässt. Denn ohne Konzept wird nicht geplant und ohne Planung geht all das vergessen, was nicht zur Grundversorgung gehört. (Tschan, S. 22f)
Ein Mensch kann sich nur dann gut fühlen, wenn sein/ihr Alltag so gestaltet ist, dass er/sie darin Sinn findet. (Elvira Tschan, S. 21)
Grundprinzipien der IAA
- Individualität der Person: Person steht im Mittelpunkt; ganzheitliche, körperliche, seelische, geistige und soziale Förderung; Menschen in stationären Einrichtungen wünschen sich: Angebote bei denen Lebensfragen Platz haben und die persönliche Lebensgeschichte einbezogen wird, mehr Zusammenkünfte in kleineren Gruppen, mehr Stammtische und mehr übers Jahr verteilte, kleine Ausflüge; Anliegen der BewohnerInnen müssen gehört und berücksichtigt werden;
- Ressourcenorientierung: Kenntnisse der Biografie sind wichtig; BewohnerInnen erzählen normalerweise gerne von ihren Erlebnissen und Erfahrungen und von dem, was sie gerne oder ungerne machen. Durch dieses Wissen können die Personen besser und gezielter in den Alltag einbezogen und gefördert werden.
- Normalität: ein Leben wie zu Hause, Alltag so normal wie möglich mit bekannten und gewohnten Aktivitäten; Wohlbefinden, Anregung, Ruhe
- Kontinuität: keine sprunghaften Veränderungen; je kontinuierlicher und regelmäßiger die Alltagsgestaltung angeboten wird, desto mehr Sicherheit und Orientierung gibt diese.
- Ritualisierung: ritualisierte individuelle Handlungsabläufe, die der jeweiligen Person entspricht, sind sehr wichtig für Menschen mit Demenz. Gewohnte Wiederholungen von Handlungen geben Sicherheit.
- Zusammenarbeit und Vernetzung: Der gemeinsame Austausch aller Berufsgruppen, Bereiche und mit Bezugspersonen erweitert die eigene Sicht und ermöglicht eine differenzierte Wahrnehmung. Wichtig sind Fallbesprechungen in regelmäßigen Abständen im interdisziplinären Team, diese sollten aber NICHT innerhalb von Teambesprechungen stattfinden. (Tschan, S. 37)
Grundhaltungen und Einstellungen
- Aktivierende Grundhaltung: Menschliches Grundbedürfnis wie „Aktivsein“ und „sich beschäftigen können“ berücksichtigen; ressourcenorientiert, Empowerment, BewohnerInnen unterstützen, sie anleiten, selbst machen lassen, nicht alles „Aus der Hand nehmen“ z.B.: selbst rasieren lassen, selbst Zähne putzen lassen, selbst das Brot streichen und schneiden lassen, … Geduldig aushalten können, wenn es länger dauert oder mal „nicht perfekt“ wird…
- Positive Beziehungsgestaltung: echtes Interesse, Vertrauen, BewohnerInnen so respektieren wie sie sind, Annehmen, Wahrnehmen, Botschaften hören und ernst nehmen nicht bagatellisieren;
- Empathie: ist abhängig von der Bereitschaft die Position des anderen verstehen zu wollen; ist bestrebt, Fremdheit zu überwinden; Sicht- und Erlebniswelt des Gegenübers hören; zuhören;
- Humor: zugeneigt, gelassene Heiterkeit, entlastet, eröffnet oft überraschende Perspektiven
- Motivation & Reflexion: Überzeugung und Begeisterung für etwas; leuchtet uns der Grund bzw. der Sinn für etwas ein, dann sind wir motiviert etwas zu tun; motivierte, reflektierte Haltung; (Elvira Tschan, S. 41ff)
Quelle: Integrative Aktivierende Alltagsgestaltung. Konzepte und Anwendung. Elvira Tschan. 2. Auflage, 2014